Samstag, 11. Februar 2012

Der Sturm auf Moskau ab Oktober 1941

Der Krieg ging weiter.
Die Wolga bei Stariza zu überschreiten misslang zunächst. Zwei Panzer, die zuerst den Fluss durchfuhren, blieben am anderen Ufer im Wasser hängen. Gut für mich, dass daraufhin der Versuch zu furten abgebrochen wurde, sonst hätte ich mir auch kalte und nasse Füße geholt. Ich fuhr nämlich den dritten Panzer.
 In schneller Fahrt bewegten wir uns zum befohlenen Tagesziel Kalinin nordwestlich von Moskau. Die Stellungen am Weg wurden kämpfend niedergewalzt. Manche wurden völlig ignoriert. Es war ein geordnetes Chaos, welches aber unsere damalige Siegesgewissheit weiter stärkte.
Sogar russische Lkw Kolonnen haben wir schnell überholt. Die feindlichen Flak-, Pak- und Artillerie Einheiten, die meistens flüchteten, ließen wir einfach links liegen.
Die Russen konnten sich nicht erklären was hier geschah, manchmal vergaßen sie vor Staunen das Schießen.
Frech winkten einige Landser den Kollegen in den braunen Uniformen im Vorbeifahren freundlich zu.
„See You later – Towarisch!!! “
Fast unglaublich, aber es war so.
Auch solche, an sich undenkbare Geschehnisse, gebar dieser Krieg.

Wir hatten den Befehl schnellstens die Stadt Kalinin zu erreichen und zu nehmen.
Die Russen hatten den Befehl schnellstens Kalinin zu erreichen, um es gegen uns zu verteidigen. Wir behinderten gegenseitig unseren Anmarsch, weil wir das gleiche Ziel hatten.
Daran hatten die Erbauer dieser Straßen nicht gedacht!
So eine Situation wurde nie geplant!
Wir hätten unseren Streit ja gleich hier austragen können. Wo wir uns doch schon zufällig getroffen hatten.
Der Stadt Kalinin und der dortigen Bevölkerung wäre viel erspart geblieben.
Aber Befehl war nun einmal Befehl. Das galt für die braun gekleideten wie für die grau gekleideten Soldaten gleichermaßen.
Major Lenk meldete per Funk an das vorgesetzte Panzer Korps: Die Division befindet sich im zügigen Vorgehen auf Kalinin. Der Russe fädelt sich laufend in unsere Marschkolonne ein. Er behauptet, das Vorfahrtsrecht zu haben. Wir bitten um Ihre Entscheidung.
Das Oberkommando des Heeres (OKH) schaltete sich mit Humor in diesen Funkverkehr ein. Es funkte zurück: „Vorfahrt hat immer die erste Panzerdivision. Ende - OKH.“

Zu dieser Zeit ging es allgemein noch optimistisch und humorvoll zu.
So hatten sich die Funker zum Beispiel angewöhnt ihre Meldungen in Schüttelreimen zu verfassen. Bekannt geblieben ist der Funkspruch:
„Hurra, hurra, hurra –
endlich sind die Flieger da!
Leider keine Nazi Flieger.
Alles Kommunistenkrieger!“

Das sei hier nur mal  eingefügt, um die anfänglich noch euphorische Stimmung in der Wehrmacht darzustellen.
Wir hatten durch obigen Funkspruch nun von allerhöchster Stelle, dem Oberkommando des Heeres (OKH), die Erlaubnis uns die Vorfahrt zu erzwingen.
Als es schon dunkel war fädelten wir uns wieder in den laufenden Verkehr auf der Rollbahn ein und setzten unseren Marsch fort. Etwas später stellten wir erstaunt fest, dass unsere Einheit mitten in einer starken russischen Kolonne fuhr.
Unverzeihlich, dass wir das nicht früher gemerkt haben. Uns wurde sehr bedenklich, als wir diese peinliche Situation erfassten.
Doch was soll es.
Jetzt müssen wir durch.
 „Vorwärts und durch!“, hätten wir später beim Panzerregiment 35 gesagt.
Wir fuhren nur mit Notlicht und hüteten uns in irgendeiner Form aufzufallen. Die Anderen waren in der Überzahl. Ja, wir hörten sogar auf miteinander zu reden, was die Brisanz der Situation wohl am besten beschreibt. So passierten wir in dieser Nacht Borkowa und Spaskoje, bis wir in der Ferne am Himmel die Lichter von Kalinin sahen.
Um 23:00 Uhr erreichten wir das letzte Dorf Danilowskoje vor Kalinin. Hier befahl unser Befehlshaber Dr. Eckinger über Funk: „Links in das Dorf ausscheren!“ Das gelang. Es folgte uns kein russisches Fahrzeug.
Dr. Eckinger ist leider eine Woche später gefallen. Er starb durch den Volltreffer einer Panzergranate.
Am nächsten Tag, es war der 13.10.1941, lautete der Befehl:" Die Stadt Kalinin (heute Twer) und die beiden Brücken über die Wolga sind beim ersten Büchsenlicht einzunehmen!"
Unserer Freizeit war damals knapp, denn die Kämpfe um Kalinin dauerten einen Monat lang bis zum 13. November.
Unser Weg führte dann von Kalinin in Richtung Wolga. Von dort wurde in den Raum Klin zur 3. Panzerarmee unter Generaloberst Reinhardt  verlegt.
Im Angriff ging es über Federowka und Nikolskoje.
Ende November stand die Division im eingenommenen Raum Klin nordwestlich vor Moskau. Danach stießen wir weiter vor. Am 5. Dezember 1941 erreichten wir die Kanalübergänge bei Kusjaevo. Krasnaja  Poljana war der weiteste Punkt unseres Vormarsches.
Von hier waren es noch etwa 25 Km bis zum Moskauer Roten Platz, dem Sitz der sowjetischen Regierung.
Bei klarem Wetter hätte man die Türme des Kremls sehen können.
Wir konnten Moskau aber nicht erreichen, weil der russische Widerstand zu stark wurde.
General Reinhard  musste wegen der starken Feindkräfte den Angriff der Panzergruppe 3 auf Moskau abbrechen.
Wir kämpften uns nach Klin zurück und hielten bis zum 14.12. die einzige Rückzugsstraße vom Feind frei.
Unseren Kameraden, vor allem auch die der 4.Panzerdivision mit dem Panzerregiment 35, welche unter Generaloberst Heinz Guderian vom Süden her, über Tula und Kaschira auf Moskau vor rückten, ging es nicht anders. Auch ihr Angriff blieb stecken.
Ich erinnere mich, das auf deren Fahrzeuge mit weißer Farbe ein „G“ gemalt war, welches bei uns, wie auch bei den russischen Soldaten, als respektvolles Symbol galt. Guderian selbst wurde von uns Landsern mit Achtung „der schnelle Heinz“ genannt, weil er immer allen anderen Einheiten voraus, mit seinen Panzern so eilig vorstieß, dass der Tross, mit der gesamten Versorgung meist nicht hinterher kam.
Auch seine Truppen mussten sich meterweise durch den tiefen Schlamm vorarbeiten. 
Der nördlichste Punkt, den Guderian am 24. November 1941 erreichte lag drei Kilometer vor der Stadt Kaschira. Hier war auch für ihn und seine Truppen Schluss. Von Kaschira bis nach Moskau wären es nur noch 80 Kilometer gewesen.
 Von nun an ging’s bergab…

Donnerstag, 2. Februar 2012

Begrüßung in Russland


Gerade noch im schönen Brandenburger Heimatland, befand ich mich Mitte September 1941 unversehens 1600 km entfernt im unbekannten Russland auf der Fahrt zum Standort meines 1. Panzerregimentes. Wir hatten den Bestimmungsbahnhof erreicht.
Mal schauen, ob hier ein ausgebildeter Panzerfahrer gebraucht wird!
Das Regiment hatte LKWs zum Bahnhof geschickt.                                                             
Wir verluden unser  Marschgepäck und fuhren auf der Rollbahn zu unserer Einheit.                        
Unter Rollbahn ist eine breite Straße zu verstehen worauf der gesamte militärische Transport von Mannschaften und Material bewegt wird. Diese Fahrt erschien uns Frischlingen endlos. Wir versuchten auf den harten Sitzbänken, die auf die LKW-Pritschen angeschraubt waren, zu schlafen.
Plötzlich krachte es fürchterlich.
Nicht weit von uns detonierten Artilleriegranaten. Sofort zogen wir jungen Soldaten unsere Köpfe ein. Ohne Befehl durften wir nicht vom LKW springen und uns einen Graben oder ein Loch zur Deckung suchen. So hatten wir es bei der Ausbildung gelernt. Der Befehl kam nicht. Der Fahrer fuhr ruhig weiter. Der alte Feldwebel, der unseren Transport begleitete, gähnte und drehte sich auf die andere Seite der Sitzbank.
„Das hat nichts zu bedeuten, Jungs! Der Iwan freut sich, dass ihr kommt und will euch nur freundlich begrüßen.", murmelte er und war schon wieder eingeschlafen.
„Der hat Nerven!“, dachten wir und mussten das Geschehen erst verdauen. Eine halbe Stunde später schnellte der Feldwebel von Sitz hoch und lauschte.
„Hört ihr denn nichts?“
„Nee, was denn? "
„Russische Ratas, die kleinen hölzernen Flugzeuge, greifen uns gleich an!"
„Was?"
Auch der Fahrer hatte sie bemerkt und hielt an.
„Alles raus und im Wald in volle Deckung gehen!“, brüllte er und sprang voran.
Jetzt hörte man die typisch tackenden Geräusche dieser russischen Nähmaschinen, wie sie von den Landsern genannt wurrden. 
Schon knallte es aus den Bordmaschinengewehren.
Sie schossen auf uns. 
Sie wollten uns auch treffen und töten.
Was für eine gemeine Begrüßung.
So schnell waren wir bei keiner Übung in Neuruppin im Wald hinter den dicksten Stämmen.
Hier ging es um unser Leben. Doch zum Glück hatte es keinen erwischt. Recht blass waren wir alle um die Nase nach diesem Erlebnis.
Das war unsere Feuertaufe.
„Nun kann es nur noch schlimmer werden.", behauptete der alte Feldwebel charmant.
Dann sagte er noch: 
„Jungs, sich fürchten vorm Tode hat gar keinen Zweck! Ihr merkt ihn ja nicht. Wenn er kommt, seid ihr weg!“

Der kann einen ja aufbauen.
„Strasstvuitje rossija!“ - Guten Tag, Russland!

Foto vom November 1941 6.Kp. Panzerregiment 1 nah vor Moskau
Mit diesem Panzer III bin ich einige Einsätze beim Kampf um Moskau gefahren. Vor dem Wagen sind meine Panzerkameraden. Ich kam zum Foto leider zu spät.
Man sieht deutlich unsere dünnen Wintermäntel, die für den russischen Winter überhaupt nicht geeignet waren.
Dieses Foto hatte ich damals vor Weihnachten 1941 – noch stolz – meinen Eltern und meiner Freundin Wally nach Hause geschickt.
Die Stimmung war zu dieser Zeit noch sehr gut. Keiner zweifelte an unserem schnellen Sieg. 
Es sollte ganz anders kommen.