Donnerstag, 4. Oktober 2012

Учетное Дело! – Ganz geheim!



Nach langer Zeit halte ich endlich die Kriegsgefangenenakte meines Vaters aus den Moskauer Archiven in meinen Händen.


Diese zu bekommen war ein schwieriges Unterfangen mit vielen Hindernissen.
Anfangs störte mich, dass man erst nach einer Zahlung von 30 € bereit war in den Computer zu schauen ob eine Akte von meinem Vater vorhanden ist.
Sie wurde gefunden.

Man schrieb mir: „Wenn ich nun weitere 300 € überweise, dann sei man bereit mir die Kopien einer 12 Seiten langen Akte mit den Daten meines Vaters in russischer Sprache zu senden.“
(Inzwischen hat wohl der Markt den Preis gedrückt. Ich las, dass heute nur noch 200 € verlangt werden.)
Mir war klar, dass in der Akte mindestens 80% mir bekannte Daten standen.

Und richtig neben den Personalien von Vater, Mutter, Großeltern, Onkel und Tanten bekam ich sogar meine eigenen persönlichen Daten zu lesen.
Ich war damals noch nicht mal ein Jahr alt.
Sollte ich diese Informationen, welche sowieso unser persönliches Eigentum waren, nun noch einmal für 330 € kaufen?
Ich kann es einfach nicht leiden abgezockt zu werden.
Doch versteht mich nicht falsch.
Ich mag die Russen, vor allem auch die russische Seele.
Ich habe viele kennen gelernt. Russen und Seelen!
In jedem Land gibt es solche und andere Menschen. Die Russen muss man einfach mögen wenn man gesehen hat wie Sie das Leben bewältigen. Sie kennen das Schwere seit langer Zeit und versuchen es leicht zu nehmen.
Um es kurz zu machen.
Ich habe die Kriegsgefangenenakte meines Vaters bekommen und nichts dafür bezahlt.
Beim ersten Blick auf das Deckblatt kam mir gleich eine neue Befindlichkeit in den Sinn.
Mein Vater marschierte zusammen mit den anderen restlichen Kameraden der vierten Panzerdivision am 9.5.1945 von der Halbinsel Hela bei Danzig direkt 250 Kilometer weit in die russische Kriegsgefangenschaft.
Am 8. Mai war der Krieg zu Ende. Die vierte Panzerdivision, das Panzerregiment 35 und die anderen Resttruppenteile unter General Dietrich von Saucken waren also eine im Kampf unbesiegte Armee.
Ist es denn richtig nach dem Krieg noch Kriegsgefangene zu machen?
Was sagt denn das Völkerrecht hierzu?
Im Krieg ist das gefangen nehmen des Feindes legitim, aber danach?
In einigen Fällen bestätigten die russischen Sieger den deutschen Gefangenen sogar durch einen Vermerk in ihren Wehrpässen, dass sie erst nach der deutschen Kapitulation gefangen genommen wurden. Sie dachten sich etwas dabei und die Deutschen erhofften sich Vorteile, beziehungsweise eine frühere Entlassung. Schon kurze Zeit später war diese ritterliche Geste der russischen Seite vergessen.
Sollen sich die Rechtsgelehrten darüber streiten.

Für meinen Vater ging nach den Krieg der Krieg weiter!
Und seine Gefangenschaft dauerte länger als der Krieg selbst. Die letzten Gefangenen wurden erst nach Adenauers Konvention im Jahre 1956 in die Heimat entlassen.

Für uns, die wir uns der geschichtlichen Aufarbeitung erklärt haben, ist es interessant zu erfahren mit welcher buchhalterischen Akribie die persönlichen Daten der Gefangenen aufgeklärt und festgehalten wurden.
Was für die Offiziere mit den blauen Schirmmützen vom Geheimdienst zu wissen wichtig war, habe ich nachstehend ein Beispiel des Fragebogens – der „опросные лист“ eingefügt. (unter Weglassung der persönlichen Antworten)
So kann sich jeder seine eigenen Gedanken hierzu machen.
 Möglichst viel über jeden Gefangenen zu wissen war bekanntermaßen eine gute Grundlage für den KGB aus einem Kriegsgefangenen einen Strafgefangenen zu machen. Das ging recht fix, und dann galten andere Regeln.
Dass die Verhöre für die Gefangenen sehr aufregend waren hat mein Vater oft erzählt 
Den Beweis sehe ich nun an der Tatsache, wie zitterig seine eigene Unterschrift auf dem Verhörbogen ist. Er vergaß sogar die Pünktchen über dem U seines Vornamens

Deckblatt:
Ganz geheim!
MWD – Ministerium des Innern der UdSSR
Hauptverwaltung für Kriegsgefangene und Internierte
Akte für den Kriegsgefangenen Schröder, Günter- Paul
2. Seite oben:
Akte Nr. 7182        Lager Nr. 7296    Im Lager angekommen am 1.8.1945
Fragebogen

1. Name: Schröder
2. Vorname: Günter
3. Vatersname: Paul
4. Geburtsjahr: 1921
5. Geburtsort: Senzig Kreis Teltow Chausseestraße 64
6. Adresse vor der Einberufung: Senzig Kreis Teltow Chausseestraße 64
7. Nationalität: Deutscher
8. Muttersprache: Deutsch
9. Fremdsprachen: keine
10. Mitglied einer Partei: kein Mitglied
11. Staatsangehörigkeit: Deutscher
12. Religion: Evangelisch
13. Bildung: a) allgemeine b) Fachausbildung c) Militärausbildung: a) 8 Klassen Volksschule b) keine c) keine
14. Beruf vor dem Militärdienst:
15. Dauer der Berufsausübung: 3 Jahre
16. In welcher Armee des Gegners war er: in der deutschen
17. Wurde in die Armee mobilisiert oder ging als Freiwilliger: wurde mobilisiert
18. Wann wurde er mobilisiert: 6. Februar 1941
19. Art des Heeres: Panzer
20. In welcher militärischen Einheit diente er? 4. Panzerdivision - 35. Panzerregiment 
21. Matrikel-Nr.: 66.21 (keine Ahnung, was es bedeutet)
22. Rang in der Armee: Obergefreiter
23. Welche Tätigkeit wurde ausgeübt?  Gehilfe des Waffenmeisters
Seite 3:
24. Auszeichnungen: keine (angegeben aber einige erhalten)
25. Kam in die Gefangenschaft oder hat sich freiwillig ergeben? Geriet in die Gefangenschaft nach Kriegsende.
26. Wann kam er in die Gefangenschaft? Am 9. Mai 1945
27. Wo? Stadt: Danzig
28. Familienstand: verheiratet
29. Angaben über die Ehefrau:
30. Angaben über den Vater und die Mutter: Vater: Mutter:
31. Angaben über die Brüder und Schwestern:
32. Gesellschaftliche Stellung des Vaters:
33. Soziale Stellung des Vaters:
34. Eigentum des Vaters:.
35. Sozialer Stand des Gefangenen und sein Eigentum: Arbeiter kein Eigentum
36. Lebte in der UdSSR? Lebte nicht.
37. Wer von den Verwandten und Bekannten lebt in der UdSSR? Keiner
38. Wurde gegen ihn ermittelt, stand er vor Gericht? Nein.
39. War er in anderen Ländern, wann und warum?
40. Arbeitstätigkeit vor der Einberufung: Von 1927 – 1935  8 Klassen Volksschule;
von 1935 – 1941 arbeitete als Werkzeugmacher, 1941 wurde einberufen.

Seite 4:
1. Unterschrift des Kriegsgefangenen und Datum des Fragebogens:
Mündliche Beschreibung einer Person:
Körpergröße – 1,75 cm; Körperbau – normaler Körperbau; Haarfarbe – dunkel; Farbe der Augen: blau; Nase – gerade; Gesicht – oval.
Auffälligkeiten: -
Vermerke:
 
Unterschrift


Das waren die 40 Fragen der Gefangenenakten.
Ich selbst war schon ein wenig enttäuscht. 
Hatte ich doch von größeren Verschwörungen, Aufständen und sonstigen spannenden Begebenheiten der Gefangenen zu lesen gehofft.

Im Alter von 19 Jahren wurde mein Vater im Februar 1941 zur Wehrmacht eingezogen. Vier Jahre und zwei Monate war er Soldat. 
Mit 23 Jahren kam er in die russische Gefangenschaft. 
Nach vier Jahren und vier Monaten wurde er im Alter von 29 Jahren entlassen. 
Also arbeitete er zwei Monate länger für die Sowjetunion als er gegen sie kämpfte.

In jedem Fall verbrachte er dort die beste Zeit seines Lebens – seine Jugend.
Viele seiner Kameraden sind daran zerbrochen.

1 Kommentar:

  1. Das ist bis jetzt die erste und einzige Akte eines russischen Kriegsgefangenen. Unser Robert Wern hing oben in der Pappel, als Günter Schröder quasi unter ihm zurück in die Gefangenschaft marschierte. Ich kann nur Axel ermuntern und bestätigen, mit dem ihm eigenen, wunderbaren Stil die Flucht von Robert Wern niederzuschreiben. Einen geeigneteren Geschichtsschreiber könnte ich mir gar nicht vorstellen. Danke Axel! Nütze die Zeit und schreibe die "Robert Wern Flucht" nieder!

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